In den Jahren 1895 und 1896 bekommen einige Pueblo-Gemeinschaften überraschend Besuch von einem jungen "gebildeten Touristen" und Forscher aus Hamburg
Aby Warburg, meist im dunklen Dreiteiler, reist mit seinem Freifahrschein der Atlantic & Pacific Railroad durch Arizona und New Mexico
Als Kunsthistoriker hat Warburg viele Fragen zu den Motiven auf den Gefäßen der Meistertöpfer:innen - meist Frauen, manchmal Transgender-Personen
Seine Neugier steht im Gegensatz zu einer Vertraulichkeitspolitik der Pueblo über rituelles Wissen. Heute gibt es in den Pueblos eigene Behörden für den Schutz ihres Kulturguts
Objektdaten
Ereignis:
Herstellung: um 1890-95 Erwerb: 1895 von Abraham Spiegelberg, Santa Fé Eingang Museum: 1902 Schenkung von Aby Warburg
Herkunft:
wahrscheinlich San Ildefonso, New Mexico, USA
Material:
Ton, Pflanzenfarben
Hersteller:in:
nicht dokumentiert
Grösse:
Ø 31,2 cm, H 31 cm
Inventarnummer:
B 6098
Die Nummer 24 wurde von Warburg selbst vergeben und findet sich auch in seiner ursprünglichen Inventarliste. B 6098 ist die Inventarnummer des MARKK
Wissen und Respekt
Verliert Wissen seine Macht, wenn man es teilt? Nein, aber ohne Verantwortung ist rituelles Wissen nicht zu haben, so sehen es die Pueblo und viele andere Gemeinschaften bis heute. Warburg war nicht der Einzige, der sich zu jener Zeit für sie und ihre Kunstwerke interessierte. Es wimmelte in den trockenen Hochebenen nur so von Forschungsreisenden und Tourist:innen aus Europa und den USA.
Früh leisteten Native Americans Widerstand gegen Übergriffigkeiten von außen. In einigen Dörfern führten die Pueblo schon in den 1920er Jahren Fotografierverbote ein. Doch aus den Warenregalen der Kuriositätenhändler und über Sammler:innen wanderten Gegenstände in Museen, sie galten nun als "ethnografische Objekte" oder als "Kunst" und lagen im Licht wissenschaftlicher Forschung.
Ausstellung Blitzsymbol und Schlangentanz. Aby Warburg und die Pueblo-Kunst MARKK 2022
Die Pueblo-Töpfer:innen mussten in der neuen Warenwirtschaft zurecht kommen. Sie fanden kreative Lösungen, das rituelle Wissen zu schützen und trotzdem die Nachfrage von außen zu bedienen.
Diese Keramik beispielsweise ähnelt sehr Gefäßen, die ausschließlich in Zeremonien verwendet werden. Sie wurde aber nie rituell genutzt, sondern nur für den Verkauf hergestellt.
Schlangen tauchen im Pueblo-Kosmos immer wieder auf und stehen unter anderem für den Kreislauf des Wassers. Aby Warburg deutete sie als Ausdruck symbolischer Furchtbewältigung. Auch das gestufte Symbol der Wolke findet sich in vielen Varianten in der Pueblo-Kunst. Sie bringen den für die trockene Region so lebenswichtigen Regen.
Aby Warburg gilt als Begründer der Ikonologie. Für die Pueblo-Hersteller:innen waren die schmückenden Symbole auf ihren Werken Teil einer ganzen Weltsicht und Identität.
Alfonso Ortiz aus Ohkay Owingeh gehörte zu den ersten Kulturanthropolog:innen, die aus Pueblo-Gemeinschaften kamen und ihre eigene Sicht in die Wissenschaft einbrachten. Auch Pueblo-Künstler:innen sprechen heute für sich selbst.
Bestimmte religiöse Gegenstände werden von den Hopi und anderen Pueblo-Gruppen als heilig angesehen. Manche gelten sogar als belebt, wie die von Außenstehenden als "Masken" bezeichneten Kopfbedeckungen der Katsina-Tänzer. Hopi lehnen den Begriff Maske ab und sprechen von kwaatsi ("Freunden"), Subjekten mit eigener Persönlichkeit und Wirkmacht.
Händler und Missionare verkauften "Katsina-Freunde", Gebetsstäbe und andere religiöse Utensilien an Museen und Sammler:innen weltweit, auch an Aby Warburg. Das Hopi Cultural Preservation Office (HCPO) wehrt sich seit langem gegen den Handel und die Zurschaustellung solcher heiligen Objekte. In Konsultationen konnten das HCPO und das MARKK auch einige davon in der Sammlung des Museums identifizieren. Sie wurden in der Ausstellung als "visuelle Leerstellen" gezeigt, um Besucher:innen auf das Thema aufmerksam zu machen.
Fest steht, daß das Keramikgefäß heute mindestens zwei Geschichten erzählt: Es ist ein kulturelles Erbstück der Pueblo-Gemeinschaften und gehört gleichzeitig zu Aby Warburgs Vermächtnis.
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