Um die Wende zum 20. Jahrhundert fertigen Bootsbauer:innen auf den Tami- und Siassi-Inseln im Bismarck-Archipel große hochseetaugliche Auslegerboote an. Diese Inselgruppen liegen in der Meeresenge zwischen den Inseln Neuguinea und Neubritannien.

Insbesondere auf den kleineren, tief gelegenen Koralleninseln, wo die Landwirtschaft nicht sehr ertragreich ist, ist der Handel mit anderen Inseln von großer Bedeutung. Die Boote dienen daher dem Küstenhandel mit Neuguinea und den vorgelagerten Inseln bis nach Neubritannien. Gehandelt werden dabei unter anderem Tonwaren, Holzschalen, Obsidian, Schweine, Hundezähne und Netztaschen.


Bootsbauer:innen und Bootsmaler:innen benötigen mehr als drei Monate, um ein großes Auslegerboot fertigzustellen. Der Preis für ein großes Boot, in dem sechs Personen Platz finden, liegt bei bis zu fünf Schweinen.

Bestimmte Zeichen in den Verzierungen der Boote deuten auf die Familie hin, die das Boot besitzt. Dadurch ist schon von weitem erkennbar, wem das Boot gehört.

Objektdaten
Ereignis:

Am 23. Januar 1909 stießen die Mitglieder der Hamburger Südsee-Expedition auf der Insel Mandok auf das im Bau befindliche Auslegerboot und erwarben es für das Museum für Völkerkunde. Nach seiner Fertigstellung wurde es am 8. Mai 1909 bei der nahegelegenen Insel Tuam abgeholt und für seinen direkten Transport nach Hamburg vorbereitet.

Herkunft:

Mandok, Morobe Province, Papua-Neuguinea

Material:

Holz, Pandanus, Bastschnur, Pigmente

Hersteller:in:

nicht dokumentiert

Grösse:

L (Bootsrumpf): 11,58 m; L (Aufsatz): 9,70 m; H: 92 cm; B: (Kasten): 50 cm

Inventarnummer:

8741 I

Für die Herstellung verwenden die Bootsbauer:innen ein bestimmtes Holz von der nahe gelegenen Insel Umboi, das trotz des Kontaktes mit Wasser sehr beständig ist. Das Segel besteht aus geflochtenen Pandanusblättern.
Von Mandok nach Hamburg: Die Reise eines Siassi-Auslegerbootes
Am 23. Januar 1909 erreichte ein großes weißes Dampfschiff mit dem Namen Peiho die Insel Mandok im Bismarck-Archipel. An Bord befanden sich die Teilnehmer der Hamburger Südsee-Expedition. Die Expedition wurde vom damaligen Direktor des Hamburger Museums für Völkerkunde Georg Thilenius organisiert, mit dem Ziel, die deutschen Kolonien im Pazifik zu erforschen. Im ersten Expeditionsjahr von 1908 bis 1909 hielten sich die Teilnehmer im heutigen Papua-Neuguinea auf und schickten von hier mehr als 6000 Objekte nach Deutschland – Objekte, die sie zum Teil im Tausch erwarben und sich zum Teil im Kontext von Gewaltanwendung oder in Abwesenheit ihrer Besitzer:innen aneigneten.


Die Peiho im Hafen von Matupi, MARKK Inv. Nr. 9.2446. Foto: Hans Vogel.
Eines dieser Objekte war das große Auslegerboot von der Insel Mandok, die zu der Siassi-Inselgruppe gehört. Als die Expeditionsteilnehmer auf Mandok eintrafen, befand sich das Boot bereits im Bau. Im veröffentlichten Tagebuch von Franz Emil Hellwig steht zu diesem Tag: „Auf der Rückfahrt [von Umboi] wurde Mandok angelaufen. Hier wurde ein in Arbeit befindliches großes Kanu gekauft, welches in 2-3 Monaten von der Expedition abgeholt werden soll“ (1927: 108). Für das Boot verhandelten sie eine Bezahlung von einem großen Schwein, zwei bis drei Äxten, einem großen Messer und als Anzahlung ein Taschenmesser. Es wurde nach seiner Fertigstellung am 8. Mai 1909 bei der Insel Tuam an die Expeditionsteilnehmer übergeben.

Besichtigung des im Bau befindlichen Bootes auf der Insel Mandok, MARKK Inv. Nr. 9.2180. Foto: Hans Vogel.


Gebaut wurde dieser Bootstyp in erster Linie von den Bewohner:innen der Siassi-Inseln Aramot und Mandok sowie von den Bewohner:innen der Tami-Inseln. Die Besonderheit der Siassi-Boote ist, dass sie sehr robust und hochseetauglich sind. Händler:innen der Inseln Tuam und Malai kauften die Boote, da sie keinen Zugang zu dem Holz hatten, das sie für den Bootsbau benötigten. Solch eine Auftragsarbeit mag für die Bootsbauer:innen der Insel Mandok daher ein herkömmliches Verfahren gewesen sein. Der Preis für ein Boot lag bei zwei bis fünf Schweinen, je nach Größe des Boots und Beschaffenheit des Holzes.

Bootsbaustätte auf Mandok, das Boot befindet sich bereits im Bau, MARKK Inv. Nr. 9.2182. Foto: Hans Vogel.


Am 8. Mai steuerte die Peiho schließlich die Insel Tuam an, um das fertiggestellte Auslegerboot abzuholen. Neben der Bezahlung für das Boot wurden Sonderzahlungen an die Aufsichtspersonen, Dwalau und Suaku, sowie die Bootsschöpferinnen und die Hilfskräfte vor Ort ausgehändigt. Allerdings kann aus den Beschreibungen der Expeditionsteilnehmer nicht erschlossen werden, ob die übergebenen Tauschwaren in Anbetracht der vielen Arbeitsstunden tatsächlich als angemessen erachtet wurden. Auch die Namen der Personen, die an der Herstellung des Bootes beteiligt waren, wurden von ihnen nicht festgehalten. Kennt jemand ihre Namen oder die Bootsbaustätte? Und für wen sollte das Boot eigentlich gebaut werden, bevor die Expedition darauf stieß? Viele Fragen bleiben bisher unbeantwortet. Möchtet ihr uns mehr dazu sagen?

Bootsbauer und -maler auf Tami, MARKK Inv. Nr. 9.2153. Foto: Hans Vogel.


Um das große Boot für den Transport an Bord zu nehmen, musste es in Einzelteile auseinandergebaut werden. Der Maler und Fotograf Hans Vogel fertigte Zeichnungen an, damit es in Hamburg wieder richtig zusammengesetzt werden konnte. Auch dokumentierte er dabei die Bedeutung der Verzierungen und Motive, die sich auf den Seitenwänden des Bootes befinden. Das Boot steht heute in der Bootshalle des MARKK.

Das Siassi-Boot in der Bootshalle des MARKK. Foto: Paul Schimweg.
Feist, Werner (2003) Die Boote der Tami-Inseln, Papua-Neuguinea. Natur und Mensch -Jahresmitteilungen der naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg e.V.: 175-207. 
 
Hellwig, Franz E. (1927) Tagebuch der Expedition. In: Georg Thilenius (Hg.), Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908–1910. Hamburg: Friedrichsen.
 
ter Keurs, Pieter (1985) An Island of Wood Carvers. Mandok, Papua New Guinea. Leiden.
 
Vogel, Hans (1911) Eine Forschungsreise im Bismarck-Archipel. Hamburg: L. Friedrichsen & Co.
 
MARKK Nachlassarchiv, SÜD 1.2 Tagebuchabschrift 2, Fülleborn, Friedrich.
 
MARKK Nachlassarchiv, SÜD 6.1.7 Tagebuch-Abschrift 1, Müller, Wilhelm.
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