Malagan Vogel


Malagan-Objekte sind Kunst für einen Tag, vielleicht nur für ein paar Stunden. Nach ihrem Einsatz bei Feierlichkeiten werden sie dem Verfall überlassen


Wer Malagan sagt, meint Vieles: Tod, Leben, Seele, Kunst, Copyright, Gemeinschaft. In der Kolonialzeit werden die kunstvoll geschnitzten Werke jedoch zu begehrten Sammlerstücken

Der Weg vom Bismarck-Archipel in europäische Museen verändert sie. Ihr Dasein verlängert sich, ihr Sinn verblasst, ebenso die Namen der Künstler:innen

Aus einem machtvollen Körper wird ein Gegenstand für die Forschung, lange spielten die Nachfahr:innen der Künstler:innen dabei keine Rolle. Heute sagen sie: „Ihr braucht unsere Augen, um uns zu sehen.“

Objektdaten
Ereignis:

Herstellung: zweite Hälfte 19. Jahrhundert
Eingang Museum: November 1884 als Geschenk von Ruben Jonas Robertson

Herkunft:

Neuirland, Papua-Neuguinea

Material:

Holz, Farbe

Hersteller:in:

nicht dokumentiert

Grösse:

B 43 cm, T 14 cm, H 29 cm

Inventarnummer:

E 871

War der kleine Holzblock auf der Rückseite ein Steckelement oder wurde der Vogel damit als Mundmaske getragen?

Nicht wegwerfen, oder?

Auf Neuirland, einer Insel des Bismarck-Archipels nordöstlich von Neuguinea, befand sich das Zentrum der Malagan-Zeremonien. Sie konnten Monate oder Jahre dauern und sandten die Seelen von Verstorbenen ins Totenreich, wo diese zu Vorfahr:innen werden sollten.

Dafür fertigten Künstler:innen Malagan-Objekte als Auftragsarbeiten an, die Zwischenträger der Seele waren und eine Möglichkeit für die Lebenden eröffneten, an ihrer Reise teilzuhaben. Zum Höhepunkt der Feierlichkeiten wurden die Kunstwerke enthüllt, oft nur für einige Stunden, und dann in den Wald gelegt, wo sie verrotteten.

Der Vogel dieses Malagan-Objekts hält eine Schlange in Schnabel und Krallen.


Die vor Ort tätigen Händler:innen, Pflanzer:innen, Seeleute, Missionar:innen und später auch Kolonialbeamt:innen fragten eher selten nach den Namen der Künstler:innen. Beim Kaufen, Tauschen oder Rauben der Werke spielte der Kontext ihrer Entstehung meist keine Rolle mehr; nicht der Aufwand an Taroknollen, Schweinen, an tsera, dem Muschelgeld, nicht die Mühe beim Kochen für das Fest und anderen Vorbereitungen. Nicht die Fertigung mit Steinbeil, Muschelschalen, Haizähnen zum Schleifen, das Polieren mit rauen Blättern, Rochen- oder Haihaut, oder auch Brand und Glut beim Aufbringen der Farben.

Die Künstler:innen wollten ihre Werke nicht nur schön aussehen lassen, sondern stellten mit den aufwendigen Mustern auch Besitzverhältnisse oder Rechtsansprüche dar. Doch ihr Wissen verlor sich, sobald die Kunstwerke die Inseln verließen. Nur in einzelnen Fällen sind ihre Namen in Europa bekannt, wie der des Bildhauers Teringa aus dem Dorf Hamba, den deutsche Kolonialbeamt:innen 1907 fotografierten.

Malagan Schnitzwerk, Glasdia von 1909


Bootsverzierung für eine Malagan-Feier. Auf der Karteikarte im Museumsarchiv ist der Name des Künstlers ist nicht vermerkt. 
Werke der Malagan-Kunst fanden in Europa schnell ein interessiertes Publikum. Religiöse und spirituelle Objekte erzielten meist höhere Preise als Alltagsgegenstände. Die durchbrochene Schnitzerei mit ihrer bunten und kleinteiligen Bemalung faszinierte die Europäer:innen besonders. In den 1920er Jahren verliebten sich Künstler:innen des Surrealismus in die verschlungenen Formen. Sie sahen in ihnen den Ausdruck einer Welt des Unbewussten zwischen Traum und Wirklichkeit. „Du bezauberst, Du machst Angst“ schrieb der Dichter André Breton (1896-1966) und kaufte selbst einige Malagan-Objekte an.

Sammlung von Kunstwerken und Objekten im Atelier von André Breton

Schnell ergab sich unter den exportierten Stücken eine Wertordnung: Vogelbilder - insbesondere vom Nashornvogel - waren relativ häufig. Vielschichtige und bewegt wirkende Tierdarstellungen waren beliebt. Allerdings zeigte nur etwa ein Zehntel der Darstellungen den ganzen Vogelkörper, was diese wiederum teurer machte.
Für Händler wie Ruben Jonas Robertson (1813-1902), der diesen Vogel dem Museum schenkte, waren „völkerkundliche Gegenstände“ mitunter auch ein Wirtschaftsfaktor, besonders im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der Reeder aus Altona war der Onkel und Finanzier von Henry Nathanel Robertson (geb. 1851), dem Mitinhaber von Robertson & Hernsheim. Ein Name, der in der Provenienzforschung im MARKK häufig auftaucht, denn die Firma spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung der damaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea. 

Dort waren Kokosplantagen für die Ölgewinnung angelegt worden in der Hoffnung auf Gewinne im Exportgeschäft. Sie brauchten aber 15 Jahre, um Ertrag abzuwerfen. Deshalb nutzten die Kolonisateur:innen bisweilen  auch die begehrten Malagan-Kunstwerke als Handelsware. Wer seltene Objekte an Museen und Handelshäuser lieferte, konnte auf Auszeichnungen mit Orden sowie gesellschaftliche Anerkennung hoffen und zusätzliche Einnahmen erzielen.
Malagan-Zeremonien gibt es bis heute. Die genaue Zahl der Kunstwerke, die von den Inseln den Weg in Sammlungen und Museen fanden, ist nicht bekannt, sicher ist nur, es sind Tausende.

Typisch Malagan: vielfältige figurale Elemente


Häufig haben Forscher:innen darauf hingewiesen, dass die Objekte nicht mehr existieren würden, wären sie nicht „gesammelt“ worden. Ist das gut oder schlecht? Wer entscheidet das? Die Frage, wie und ob Kunstwerke unter diesen Umständen „zurückkehren“ sollten, sorgt in postkolonialen Zeiten für Diskussionen. Was sagen die Nachfahr:innen der ehemaligen Nutzer:innen dazu? Die meisten von ihnen haben kaum jemals die Möglichkeit, antike Malagan-Objekte zu betrachten. In Papua-Neuguinea gibt es nur sehr wenige Museen.
  • Landkarte Teaser: Peter Hermes Furian/Alamy Stock Foto E60K17
  • Fotos von Bootsverzierung (Inventarnummer: E1538) und den beiden Vogelobjekten in der Story (Inventarnummern: oben E 1537 und unten E 1535 dop1): MARKK, Brigitte Saal
  • Foto/Glasdia Bildhauer in Hamba: MUT | Ethnologische Sammlung, Inv. Nr. AOI-Es-Dia1408
  • Foto Atelier André Breton: Roderick Schuchart/Alamy Stock Foto 2JE6A0E
  • Literatur: Iris Edenheiser, Larissa Förster (Hg.): Museumsethnologie. Eine Einführung, Berlin 2019; Michael Gunn: Mouthpieces from Northern New Ireland in: Michael Gunn, Philippe Peltier: Auf Spurensuche, TenDenzen 03, Bremen, 2004
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