Figur aus Walrosszahn


An einer Stelle beträgt die Entfernung zwischen den USA und Russland nur 4 Kilometer. Nicht weit davon liegt die autonome Region Tschukotka

Irgendwo auf der Halbinsel ist diese handtellergroße Figur - ein Mann? eine Frau? - aus Walrosszahn geschnitzt worden

Walrösser versammeln sich im August zu Tausenden vor der Küste Tschukotkas. Menschen gibt es nur wenige


Über Jahrhunderte haben sie zähen Widerstand geleistet gegen Ansprüche auf ihr Land, gegen die Suche nach Gold, Erz und der Nordostpassage


Objektdaten
Ereignis:

Herstellung: 19. Jahrhundert; gesammelt von Walfangkapitän Höck. Eingang Museum: Ankauf von Frau Dörries jun. 1891

Herkunft:

Tschukotka, Russische Föderation

Material:

Walrosszahn

Hersteller:in:

nicht dokumentiert

Grösse:

L 10,4 cm, B 3,9 cm, T 2,6 cm

Inventarnummer:

A 2749

Das auch Walross-Elfenbein genannte, sehr haltbare Material stammt vom Eckzahn des Tiers. Walrosszähne wachsen lebenslang nach und werden bis zu 50 cm lang.
Zwischen den Welten

Wir wissen wenig über diese kaum handtellergroße Person aus Walrosszahn. War sie einmal ein Kinderspielzeug? Oder ein schamanischer Gegenstand? Das lässt sich aus den Angaben im Museumsarchiv nicht herauslesen. Aber solche kleinen Figuren, die Menschen oder Tiere darstellten, wurden oft für Fremde hergestellt, die ins Land kamen: Walfänger, Minenarbeiter und später auch Tourist:innen.


Der Fjord von Providenyia an der Südküste von Tschukotka, 1910
So liebenswert und niedlich die Figuren wirken, sie erzählen doch von einem Kontakt, der vor allem von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen getrieben war. Erst wurden in der Region Pelztiere und Wale gejagt, dann auch die großen Vorkommen an Silber- und Berggold, an Zinn und Wolfram ausgebeutet. Spätestens zu Sowjetzeiten bedeutete das für die Einwohner:innen von Tschukotka, dass sie ihr nomadisches Leben aufgeben, in Siedlungen umziehen und sich einem neuen Lebensstil anpassen mussten. Heute gehört der Autonome Kreis zur Russischen Föderation.

Bucht vor Providenyia 2003
Die kleine Figur ist einer von hunderten Gegenständen, die ein dänischer Walfangkapitän zwischen 1888 und 1890 in Tschukotka gesammelt hatte. Ob er sie geschenkt bekam, sie einfach mitnahm oder dafür bezahlte, ist nicht überliefert. Jedenfalls verkaufte er ein ganzes Konvolut an den Hamburger Friedrich Dörries. Dörries war eigentlich Gärtner, aber heute würde man ihn einen Insekten-Nerd nennen. Er reiste um die Welt auf der Suche nach seltenen Exemplaren, manchmal begleitet von seinen beiden Brüdern, die als Präparatoren arbeiteten. Später wurde er Tierpfleger in Hagenbecks Tierpark in Hamburg und baute dort ein Insektenhaus auf. Seine Familie verkaufte die von ihnen so genannte „Tschuktschen-Sammlung“ 1891 für 400 Mark an das Museum.

Tschukotka ist etwa doppelt so groß wie Deutschland. Die wenigen Einwohner:innen, es sind nur noch um die 50.000, leben zwischen der alten Welt als Jäger und Fellhändler:innen und der neuen, mit Schneemobilen, Konsum und digitaler Anbindung.



Kinder reiten auf Hunden in die Schule, wo sie an Rechnern unterrichtet werden. Familienväter fahren aus Containersiedlungen ans Meer, wo sie mit Harpunen jagen. An der Küste der Beringstraße, nördlich der Baumgrenze, in Frostschuttwüste und Tundra wird es im Sommer, wenn Mückenschwärme aus dem sumpfigen Boden steigen, bis 20 Grad warm, im Winter kann die Temperatur auf – 36°C fallen. 
Die russische Fotografin Evgenia Arbugaeva machte zwischen 2018 und 2019 eine Bilderserie im Norden der Halbinsel Tschukotka. Sie brauchte etwa einen Monat, um die Siedlung Enurmino zu erreichen – per Flugzeug, Hubschrauber und Schiff.

Die folgenden Bilder zeigen einen Teil der Serie.

Arbugaeva, selbst in Sibirien geboren, ist seit Langem fasziniert von Phantasiebildern der Region, davon, "wie lebendig die Arktis in der Vorstellung vieler Menschen ist, ohne dass sie jemals vor Ort waren.“



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  • Foto 1: Larin, Ivan Emel'ianovich. Bukhta Provideniia: Russian Federation Kamchatka Krai, 1910. https://www.loc.gov/item/2018685979/.
  • Foto 2: Gotlib, Artem, Contributor, Sorin, Aleksandr Vladimirovich, Born 1965, photographer. Bukhta Provideniia. Russian Federation Chukotka Autonomous Okrug Bukhta Provideniya, 2003.  https://www.loc.gov/item/2018692691/.
  • Foto 3: Gotlib, Artem, Contributor, Sorin, Aleksandr Vladimirovich, Born 1965, photographer. Russian Federation Chukotka Autonomous Okrug Bukhta Provideniya, 2003.  https://www.loc.gov/item/2018692636/.
  • Fotoserie: © Evgenia Arbugaeva, evgeniaarbugaeva.com
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